Stadt Wien Podcast

Ein gutes Zuhause: Wie Krisenpflegeeltern in akuten Notsituationen helfen (Folge 3 von 5)

Stadt Wien Season 17 Episode 3

Barbara Kaufmann und Ingrid Pöschmann treffen in dieser Folge Kathrin Raab, die neben einem Langzeit-Pflegesohn auch Krisenpflegekinder betreut. Krisenpflegeeltern betreuen Säuglinge und Kleinkinder für kurze in akuten Notsituationen, während Sozialarbeiter*innen an einer möglichen Rückkehr zur Familie oder die Vermittlung an eine Langzeitpflegefamilie arbeiten. Kathrin Raab erzählt über die großen Herausforderungen als Krisenpflegemutter und ihr Verständnis dieser wichtigen Rolle.

Gesprächspartnerin dieser Folge:

  • Kathrin Raab, Pflege- und Krisenpflegemutter

Wenn ihr euch vorstellen könnt, selbst Pflegekinder aufzunehmen oder ihr euch weiter zum Thema informieren wollt, ruft  01/4000-90800 oder besucht wien.gv.at/pflegeeltern .

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[00:00:05 - 00:00:22] Barbara Kaufmann

Willkommen bei der dritten Folge des Podcast der Stadt Wien zum Thema Pflegekinder. Mein Name ist Barbara Kaufmann und an meiner Seite begrüße ich, wie schon in den beiden Folgen, Ingrid Pöschmann, Sprecherin der Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

[00:00:23 - 00:00:44] Ingrid Pöschmann

Vielen Dank für die nette Begrüßung. Es ist mir erneut eine große Freude hier sein zu dürfen, mit Ihnen über Pflegekinder zu sprechen. Heute geht es  um Krisenpflegekinder und hier spielen Pflegeeltern eine besondere Rolle, weil es darum geht, Kindern ganz schnell in Notsituationen die entsprechende Hilfe zur Verfügung zu stellen.

[00:00:45 - 00:01:00] Barbara Kaufmann

In dieser Folge wollen wir uns dem Thema Krisenpflegeeltern widmen. Weil es da ja doch einige Frau Pöschmann, was sind denn Krisenpflegeeltern überhaupt? Was muss man sich darunter vorstellen?

[00:01:00 - 00:02:04] Ingrid Pöschmann

Krisenpflegeeltern betreuen Säuglinge und Kleinkinder in akuten Notsituationen. Das heißt, das Kind ist zu Hause in der Herkunftsfamilie nicht sicher, der Kinderschutz ist nicht sichergestellt und benötigt jetzt ein Dach über den Kopf. Krisenpflegeeltern geben darüber hinaus viel mehr als nur ein Dach über den Kopf. Sie sind für das Kind da, sie sorgen für Stabilität, sie trösten das Kind, sie nehmen all das auf, was das Kind mit sich bringt und versuchen hier in diesen ersten Tagen Stabilität hineinzubringen und hier dann gemeinsam mit der Kollegin aus der Regionalstelle, der Sozialarbeiterin, ab zu klären, wohin wird die Reise gehen? Ist eine Rückkehr in die Familie wieder möglich oder braucht es hier eine Langzeitpflegefamilie?

Wie alt sind diese Kinder? Die Kinder, die bei Krisenpflegeeltern versorgt werden, sind in der Regel Säuglinge, Neugeborene, bis hin zu Kindern, die drei Jahre sind.

[00:02:05 - 00:02:08] Barbara Kaufmann

Und wie lange bleiben sie bei Krisenpflegeeltern?

[00:02:08 - 00:02:21] Ingrid Pöschmann

Die Krisenabklärung hat einen definierten Zeitraum, nämlich bis zu sechs Wochen, wobei dieser Zeitraum natürlich ausgedehnt werden kann, wenn die Abklärung noch nicht abgeschlossen ist.

[00:02:22 - 00:02:28] Barbara Kaufmann

Welche Ausbildung muss man machen, wenn man sich jetzt gerne als Pflegeeltern zur Verfügung stellen möchte?

[00:02:29 - 00:02:33] Ingrid Pöschmann

Interessent*innen müssen die Ausbildung zu Krisenpflegeeltern absolvieren.

[00:02:34 - 00:02:44] Barbara Kaufmann

Einen Einblick in die Krisenpflege zu bekommen, haben wir eine sehr engagierte und erfahrene Krisenpflegemutter zu Hause besucht.

[00:02:44 - 00:03:03] Kathrin Raab

Mein Name ist Kathrin Raab. Ich bin verheiratet mit meinem Mann. Wir haben gemeinsam eine leibliche Tochter, die ist zwischen vierzehn, und einen Langzeitpflegesohn, der ist inzwischen neun. Und zusätzlich arbeite ich als Krisenpflegemama. Also wir sagen immer, wir haben zwei Kinder, aber meistens wohnen bei uns drei bis vier Kinder.

[00:03:04 - 00:03:19] Barbara Kaufmann

Auf Kathrin Raabs Arm ruht sich gerade ihr aktueller Schützling aus. Ein drei Monate alter Bub. An der Wand kleben Fotos der bisherigen Krisenpflegekinder, die sie betreut hat. Es sind einige.

[00:03:19 - 00:03:56] Kathrin Raab

Also Krisenpflegekinder habe ich jetzt das fünfzehnte. Das mache ich seit vier Jahren. Das war irgendwie so die Entscheidung. Wir haben uns schon komplett gefüllt mit unseren Kindern, aber es war trotzdem irgendwie noch Platz und Liebe. Ich mag einfach Kinder total gern. Dann war einfach die Möglichkeit da, dass wir vielleicht die Riesenpflege machen, haben uns informiert. Und während Corona habe ich dann meinen Job als Behindertenbetreuer aufgegeben und mich als Krisenpfleger Mama beworben. Und kurz darauf ist schon das erste Kind eingezogen und das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.

[00:03:56 - 00:04:16] Barbara Kaufmann

Kathrin Raab hat vor ihrer Ausbildung zur hauptberufliche Krisenpflegemutter bereits die Ausbildung zur Pflegemutter absolviert. Der Unterschied zur Pflegemutter jedoch ist: In der Krisenpflege muss es oft sehr schnell gehen, ein Kind aus einer potenziell gefährdenden Situation herauszuholen?

[00:04:17 - 00:05:12] Kathrin Raab

Also eigentlich ist es so, sobald ich in Bereitschaft gehe, kann jederzeit ein Anruf kommen. Und manchmal passiert sogar, dass ich ein Kind abgebe und am Nachmittag schon das nächste Kind bekomme. Ich versuche einfach für meine Familie wirklich zu schauen, dass ich ein paar Tage Pause dazwischen bekomme, dass wir als Kernfamilie einfach einmal essen können. Und in Ruhe schlafen. Mal wieder die einen Sachen wegräumen und die anderen Sachen wieder herräumen. Weil es ist dann tatsächlich so, wenn ein Anruf kommt, der kann kommen, wenn ich gerade einkaufen bin oder wenn ich beim Frühstück sitze, oder wenn wir am Spielplatz sind. Und eine halbe Stunde später ist ein Kind da.

Das ist schon eine große Aufgabe, wo man sich vorher kurz eine halbe Stunde hinsetzt und bewusst macht: So, jetzt setze ich mich nochmal kurz hindrehen, vielleicht einen Kaffee oder ein Wasser, Weil ich weiß ja dann nicht, wie lange das Kind bleibt. Ich habe ein Kind gehabt, das war eine Woche bei mir. Ein anderes Kind, das war acht Monate bei mir.

[00:05:12 - 00:05:22] Barbara Kaufmann

Frau Pöschmann, jetzt müssen Krisenpflegeeltern oft sehr flexibel sein haben. Wie werden Sie denn grundsätzlich von der MA11 unterstützt, also auch finanziell?

[00:05:23 - 00:05:52] Ingrid Pöschmann

Derzeit haben wir ein sehr interessantes Anstellungsmodell, das den Pflegeeltern ermöglicht, ein Nettoeinkommen in der Höhe von 1.500 Euro monatlich für ein Kind. Für jedes weitere Kind gibt es eine Prämie von fünfhundert Euro monatlich, darüber hinaus bekommen Krisenpflegeeltern, egal ob sie angestellt sind oder nicht, das monatliche Krisenpflegegeld in der Höhe von 1.172 Euro.

[00:05:53 - 00:06:04] Barbara Kaufmann

Müssen Krisenpflegeeltern eine eigene Familie haben, weil wir das jetzt doch mehrfach gehört haben, in Partnerschaften leben oder gelten da dieselben Kriterien wie für Langzeitpflegeeltern?

[00:06:05 - 00:06:16] Ingrid Pöschmann

In der Krisenpflege ist es uns wichtig, dass Krisenpflegeeltern bereits eigene Kinder haben oder eine einschlägige Ausbildung im Bereich der Kleinkindpädagogik.

[00:06:17 - 00:06:23] Barbara Kaufmann

Kathrin Raab sieht ihre Aufgabe als Krisenpflegemutter jedoch nicht nur als Beruf.

[00:06:23 - 00:07:32] Kathrin Raab

Für mich ist es eine Totalberufung. Es ist einfach schön, Kindern ein Zuhause zu geben. Es ist schön, was zu bewirken bei den Kindern. Man muss sich vorstellen: Die Kinder, die zu uns kommen, haben schon sehr viel erlebt. Das sind Kinder, die einen schweren Rucksack haben. Ich habe zum Beispiel ein Kind gehabt, der war sieben Monate und ist eigentlich flach da gelegen wie eine Palatschinke und jeder hat sich gedacht: Da ist irgendwas nicht in Ordnung mit dem Kind. Sechs Monaten bewegt man sich, luchs herum, hält den Kopf.

Das Kind war dann fünf Monate bei uns und dann hat man gar nichts mehr gemerkt. Der hat sich in der Zeit bei uns so toll entwickelt, dass er dann eine Pflegefamilie finden hat können. Und das ist für mich das Schönste an dem Beruf, weil die Kinder in wirklich ganz schlimmen Zuständen zu uns kommen und wir dann eigentlich das Leben dieser Kinder zum Positiven verändern können. Aber natürlich ist es auch wirklich ein Job, vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche, auch mal anstrengend. Man sitzt dann nicht zum Beispiel am Wochenende bei einer Geburtstagsfeier sitzt man halt nicht entspannter und plaudert, sondern schiebt ein Kinderwagen oder rennt einem anderen Kind hinterher. Das ist schon vierundzwanzig Stunden und sieben Tage die Woche.

[00:07:32 - 00:07:52] Barbara Kaufmann

Mehr über den Alltag einer Pflegefamilie wird uns Kathrin Raab in Folge fünf unseres Podcast erzählen. Unterstützung bekommen Krisenpflege Eltern jedoch nicht nur von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch von anderen Krisenpflege Eltern, berichtet Kathrin Raab.

[00:07:52 - 00:08:32] Kathrin Raab

Heutzutage mit Facebook, oder wenn man zum Beispiel die Pflegeeltern Kurse macht, kann man sich vernetzen. Und so ist es auf jeden Fall schön, dass man nicht alleine ist sozusagen. Unter uns Krisen Pflegeeltern, dadurch, dass es sehr ein Beruf ist, haben wir Berufsanfängergruppen, Großgruppen, wo wir uns immer wieder sehen und austauschen. Es gibt doch Supervision, da ist man nicht alleine. Das ist auch ganz wichtig, gerade für Anfänger, weil die Kinder oft mit einem großen Rucksack zu uns kommen und alles ein bisschen anders läuft als geplant. Und da ist es einfach schön, wenn man sich dann mit wem anderen, vielleicht wem Erfahrenen austauschen kann, dass eh alles gut ist.

[00:08:33 - 00:08:42] Barbara Kaufmann

Frau Pöschmann, wie geht es diesen Kindern? Haben sie gesundheitliche Probleme? Brauchen sie besondere Zuwendung verglichen mit Pflegekindern?

[00:08:43 - 00:09:37] Ingrid Pöschmann

Säuglinge und Kleinkinder in Krisensituationen sind hochbelastet. Hier braucht es besonders viel Geduld und Mut, aber auch Ausdauer von Seiten der Krisenpflege Eltern. Jedes Kind reagiert unterschiedlich. Wir haben natürlich auch die Vorgeschichte, die wir den Krisenpflege Eltern offen und transparent darlegen, sodass sie wissen, was hat das Kind schon erlebt?

Was ist überhaupt passiert? Warum muss das Kind in die Krisenpflege? Darüber hinaus reagiert aber jedes Kind anders. Einige Kinder ziehen sich zurück, die wollen keinen Kontakt zu Beginn, andere wieder reagieren, die zeigen, dass es ihnen nicht gut geht, dass sie sich nicht auskennen. Hier ist Stabilität, Sicherheit, Geduld und ganz ganz viel Liebe gefordert, den Kindern ein sicheres Zuhause zu geben.

[00:09:37 - 00:09:47] Barbara Kaufmann

Jetzt gibt's ja auch bei Krisenpflegekindern die Auflage, dass die Kinder mit ihren leiblichen Eltern in Kontakt bleiben sollen. Wie läuft das ab, Frau Pöschmann?

[00:09:47 - 00:10:24] Ingrid Pöschmann

Der Kontakt zu den leiblichen Eltern ist uns sehr sehr wichtig und er ist auch gesetzlich geregelt. Natürlich immer im Sinne des Kindes. Wir schauen uns sehr genau an, wie förderlich ist der Kontakt? Wie laufen die Kontakte zwischen den Eltern und den Kindern? Schauen die leiblichen Eltern auch auf das, was die Kinder dann tatsächlich in dieser Zeit brauchen? Wir organisieren diese Kontakte, wir begleiten sie und wir versuchen hier auch eine unterstützende Situation für alle Beteiligten zu schaffen, auch für die leiblichen Eltern.

[00:10:24 - 00:10:40] Barbara Kaufmann

Kathrin Raab hat schon viele Besuchskontakte mit den Eltern ihrer Krisenpflegekinder erlebt. Die Unterstützung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bei diesen Treffen hat allen Beteiligten dabei geholfen, Erzählt sie:

[00:10:40 - 00:11:29] Kathrin Raab

Da hat man Besuchskontrakt einmal in der Woche. Da geht es auch die Abklärung, dass eben das Kind auch zurückkommt in vielen Fällen. Und sonst ist dann alle zwei Wochen Besuchskontakt. Eigentlich ganz unterschiedlich. Bei manchen Kindern sind die Eltern total wertschätzend und freuen sich uns. Sie sehen, dass es den Kindern jetzt besser geht. Natürlich sind nicht alle Eltern damit einverstanden, aber da haben wir dann die Unterstützung von den Sozialarbeitern, wo wir uns dann auch abgrenzen können.

Also ich bin dann da sozusagen, zu erzählen, wie es dem Kind geht und was das Kind für Entwicklungsschritte macht, aber auch für größere da zu sein und zu unterstützen, wenn das Kind jetzt irgendwie gerade weint oder traurig ist. Genau, und den Rest macht sozusagen die Sozialarbeiterin, also den Kontakt mit den Eltern.

[00:11:29 - 00:11:43] Barbara Kaufmann

Kathrin Raab hat schon einige Erfahrungen mit Krisenpflegekindern sammeln können. Trotzdem berühren sie die Schicksale der Kinder immer wieder aufs Neue. Und nicht nur die der Kinder, sondern oft auch die ihrer Eltern.

[00:11:44 - 00:12:15] Kathrin Raab

Ich versuche mich schon abzugrenzen. Natürlich jedes Mal, wenn ich eine Geschichte von einem Kind habe, muss man schon einmal schlucken, was Kinder teilweise erlebt haben, was auch Geschichten dahinterstehen. Ich versuche mich dann auch einfach abzugrenzen und zu sagen: Ich bin für das Kind zuständig. Das Kind ist jetzt bei mir. Jetzt geht es ihm gut. Natürlich gibt es auch sehr junge Mütter, was einen dann mitnimmt, was da alles passiert ist. Aber ich sage dann halt für mich selber immer: Ich kann jetzt nicht allen helfen, ich helfe den Kindern und das ist gut so.

Und die Erwachsenen muss sich dann bei anderer kümmern.

[00:12:15 - 00:12:29] Barbara Kaufmann

Als Krisenpflege Mutter ist der Abschied vom Krisenpflege Kind nach einer gewissen Zeit die Regel. Und auch, wenn er manchmal traurig ist, sieht Kathrin Rath diesen Moment positiv.

[00:12:29 - 00:13:10] Kathrin Raab

Für uns gehört einfach der Abschied dazu. Im Grunde ist der Abschied für uns etwas Schönes, weil das bedeutet, dass das Kind woanders landen kann. Für uns ist es natürlich schön, wenn die Kinder zurück können zu Mama oder Papa, weil sich die Eltern wieder stabilisiert haben. Oder dass eine Pflegefamilie gefunden wird. Ist natürlich eine anstrengende Zeit und der Abschied ist natürlich auch traurig, aber im Endeffekt freuen wir uns für das Kind, das es dann wo ankommen kann, wo landen kann. Besonders schön ist es für uns, dass wir mit den meisten Pflegeeltern noch Kontakt haben. Meistens machen wir dann zum Beispiel einmal im Jahr so ein Krisenkinderpicknick und da sieht man die Kinder dann wieder aus.

Das ist jetzt nicht wirklich ein Abschied für immer, sondern ein bisschen was bekommt man schon noch mit.

[00:13:11 - 00:13:40] Barbara Kaufmann

Das war die dritte Folge des Podcasts der Stadt Wien zum Thema Pflegekinder. In der nächsten Folge werden wir uns genauer ansehen, wie die Kinder- und Jugendhilfe Pflegeeltern unterstützt, sowohl psychologisch als auch finanziell. Danke Frau Pöschmann, für Ihre Expertise und Ihre Unterstützung. Sehr gerne. Und wir bedanken uns auch bei Kathrin Raab, dafür, dass sie uns aus der Praxis einer Krisenpflegemutter berichtet hat.


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